Buchbesprechung: Yngra Wieland: Nachtschwarz bis Blütenweiß
Über Umwege landete dieses Buch auf meinen Schreibtisch. Schon das wunderbare Cover hat mich verzaubert, sodass ich so schnell wie möglich an zu lesen fing.
Und je mehr ich in die Geschichte von Ida eintauchte, um so grösser wurde der Sog, mein Wunsch zu wissen, wie es ausgeht.
Wenn das Leben und die Träume zertrümmert werden …
Hast du das schon einmal erlebt? Es gibt Augenblicke in unserem Leben, wo sich alles im Bruchteil einer Sekunde verändert; wo das, was Sicherheit gibt und vertraut ist, nicht mehr da ist.
So fängt der Roman von Yngra Wieland an.
Ida ist siebzehn und Schülerin auf einer renommierten Töchterschule, deren Ziel es ist, junge Frauen ehetauglich zu machen. Doch Ida hat Träume. Sie will sich eine Karriere als Malerin aufbauen.
Als Idas Schwester Alice im Kindbett stirbt, muss Ida ihr versprechen, sich um ihren Neffen und Schwager zu kümmern. Ein Versprechen, das niemand einem Mädchen in diesem Alter abfordern dürfte.
Natürlich weigert Ida sich erst, aber dann holen sie das Versprechen und die Erwartungen der Familie ein. Ida heiratet ihren Schwager, und Gott sein Dank entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte, etwas, wo man als Leser Hoffnung schöpft.
Doch dann bricht der Krieg aus, die Männer kommen an die Front, Menschen und Freunde sind durch die Nazis bedroht, so auch Idas jüdische Freundin Hanna, die sich verstecken muss …
Eine Welt, die vorher leicht und behütet anmutete, fällt immer mehr in Schutt und Asche, Grauen und Entsetzen. Und unter den Trümmern hat Idas Sehnsucht nach Kunst keine guten Wachstumsbedingungen. Es geht immer mehr um das nackte Überleben, und als die Männer aus dem Krieg zurückkehren, als die Rollen in der neuen Gesellschaft der besiegten Nation neu verteilt werden, zeigen sich die Spuren der Diktatur nur zu schmerzhaft. Zu viel Grausames ist geschehen, zu viele waren beteiligt, zu viele haben Dinge gesehen, die sie traumatisiert und versteinert haben, verroht.
Wird Ida jetzt den Mut finden, ihrer Berufung zum Malen Raum zu schenken?
Mich hat die Geschichte sehr berührt. Einfach, weil der Alltag im Krieg, unter der Nazi-Diktatur, abstoßend und schrecklich war. Ich musste immer wieder an meine Eltern denken, die 1927 und 1930 geboren wurden. Das ist ein Teil ihrer Geschichte. Mir ging dieser graue Alltag, das Kämpfen um das Überleben, dieser ganze Kriegswahnsinn, sehr nahe. Und viele Dinge konnte ich wiedererkennen aus den Erzählungen meiner Eltern. Die Einsmacherei, die Rolle der Frau, die Trauer, die Sparsamkeit und so vieles …
Eine Zeit zum Farbe bekennen – mit Farben malen
Die Autorin hat jedes Kapitel mit einer Farbe benannt: vergissmeinnichtblau, cognacbraun … Alleine diese Überschriften haben sofort Bilder auf der Leinwand in meinem Kopf geschaffen. Farben wecken Gefühle, und so fiel es mir noch leichter, mich mit Ida zu identifizieren, die kämpft, für ihre Familie, für ihre Freunde, die kämpft für ihren Traum vom Malen.
Es ist ein bewegendes Buch.
Nachtschwarz bis Blütenweiß macht nachdenklich. Es ist aber auch ein Roman, der Mut macht, denn er zeigt den Überlebenswillen der Menschen, die Kraft der Visionen und Träume, die in uns schlummern. Es ist ,als wenn die Autorin dem Leser zuflüstert: Träume groß.
Und genau das wünsche ich mir auch für unsere Welt heute: Träume und male eine Welt, in der Platz und Lebensraum und Farben für alle Menschen ist.
Als kleine Anmerkung: Ich durfte die Autorin auf der Leipziger Buchmesse lesen hören. Yngra Wieland liest wunderbar. Wer die Möglichkeit hat, sie zu hören oder zu einer Lesung einzuladen, sollte nicht zögern. Es lohnt sich.