Erinnerungen sind kostbare Perlen
Heute ist ein Tag, wo ich sowohl melancholisch, aber auch sehr dankbar bin. Mein Vater wäre 92 geworden, und ich wäre gern mit ihm zusammen. Aber ich habe mehr Zeit mit ihm bekommen, als die meisten mit ihren Eltern, und die Liebe, mit der er mich im Leben willkommen geheißen hat, trägt mich weiter. Tag für Tag, mit jedem Schritt und jedem Atemzug, auch wenn seine großen Hände mich nicht mehr halten oder berühren können.
Alles andere wäre Undankbarkeit. Als wir unseren Sohn adoptierten, waren die Eltern meines Mannes schon verstorben. Mein Vater hatte Krebs, und ich habe ihn damals gebeten, so lange zu leben, bis Daniel sich an ihn erinnern könnte, damit er auch einen Opa und eine Oma hätte, die er im Herzen tragen könnte. Mein Vater hat es mir versprochen. Mit einem Lächeln und ich habe nie daran gezweifelt, dass er sein Versprechen halten würde.
Er hat noch acht Jahre gelebt, Bäume mit Daniel gefällt und viel Verrücktes unternommen, Dinge, über die wir heute noch lachen. Als er auf dem Sterbebett lag, im Wohnzimmer daheim, habe ich ihm danken können und gesagt, dass es jetzt gut ist. Er dürfe gehen.
Einige Tage später starb er, da war ich schon im Zug nach Kopenhagen. Ich konnte damals nicht länger bleiben, und das war für mich der schwerste Abschied von Paderborn. Über eine Woche war ich zu Hause gewesen, und ich wusste, ich würde ihn nicht mehr lebend sehen.
Als wir in Kopenhagen einfuhren, habe ich geweint. Mein Sohn fragte mich, warum – und ich meinte, dass ich Opa vermisse. Später habe ich erfahren, dass er genau in dem Augenblick starb, als meine Schwestern ihn wuschen – und ich in den Bahnhof einfuhr.
Meine Mutter bat mich, das Lied, das ich anhänge, auf der Beerdigung zu singen. Ich versprach ihr nur, dass ich sehen müsste, ob ich es dann könnte. Ich würde es ad hoc entscheiden. Mit meinem Mann hatte ich abgesprochen, dass wir uns mit Blicken darüber verständigen würden. Letztendlich habe ich es dann gesungen. Selten war ein Lied so sehr Gebet und Wahrheit für mich und ist es heute noch.
Ich bin dankbar für die vielen Stunden, die ich mit meinem Vater hatte, eingezwängt im Ohrensessel neben ihn, die Wanderungen in den Bergen, sein Lachen und wenn er uns geneckt hat. All die Himbeeren, die er für mich gepflückt hat, und Blumen im Garten, ich bin dankbar, dass er einfach da war, wenn ich etwas verbockt hatte, dass er mir immer das Gefühl gab, kostbar zu sein und dass ich mein Leben meistern würde, trotz der Hörbehinderung. Er hat mir nie das Gefühl gegeben, nicht gut genug zu sein, nie das Gefühl von Mangel, sondern immer von Fülle und Überfluss. Ich bin dankbar für seine große Hand, dass er mir auf so viel Weise gezeigt hat, dass er mich liebt, und ich freue mich schon jetzt auf das Wiedersehen.